this post was submitted on 26 Feb 2024
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Schon richtig, systemisch kann man zum Beispiel sehr gut bei unnötiger, kalorienreicher, ballaststoffarmer, hoch verarbeiteter Nahrung ansetzen, genauso wie auch bei der Abhängigkeit vom Auto durch bessere Stadtplanung. (Özdemirs Vorschlag für ein Kinderwerbeverbot ging ja genau in diese Richtung.)
Es ist also schon richtig, die Last vom Individuum zu nehmen. Aber die Haltung "es ist ok, dass du fett bist", obwohl das absehbar Gesundheitsprobleme auslösen wird, die für die Person selbst schmerzhaft und für die Gesellschaft teuer werden, finde ich auch schwer zu rechtfertigen.
Ich habe eine chronische Erkrankung. Ich mache trotzdem nicht genug Sport und ernähren könnte ich mich wahrscheinlich auch besser. Ich bekomme teure Medikamente und jede Woche Physiotherapie. Aber mir siehst du es nicht an, bei mir gibt es keine Vorwürfe, keine Blicke und kein "du bist (zu) teuer für diese Gesellschaft" (es tut richtig weh den Satz zu schreiben). Bitte akzeptiert, dass es nicht einfach ist diese Kämpfe zu kämpfen.
Natürlich kann man mit jedem Körpergewicht krank sein und auch Essstörungen haben. Und klar ist es wesentlich besser, wenn Menschen mit einem leichten Übergewicht glücklich sind anstatt einem für sie unrealistisch niedrigen BMI nachzulaufen. Aber ab einem gewissen Körpergewicht verursacht das Gewicht an sich bereits Probleme. Ich finde es (sowohl individuell als auch kollektiv) unethisch, zu behaupten, dass das so gut sei.
Es geht gar nicht darum, krass "Sport" zu treiben, also in Fitnessstudios zu gehen und zu pumpen oder jeden Tag 100 km Rad zu fahren. Es geht eher darum, im Alltag jeden Tag 3-5 km zu gehen und dazu angemessen zu essen. Und wenn du das nicht schaffst, dann liegt das nicht mal primär an dir sondern daran, wie stark diese Gesellschaft darauf ausgerichtet ist, Konsumbedürfnisse und Bequemlichkeit zu schaffen.
Auf dieser individuellen Ebene möchte ich meine Aussage nicht verstanden wissen. Und natürlich müssen Einzelpersonen mit gesundheitlichen Problemen versorgt werden. Und ich bin absolut dagegen Menschen aufgrund ihres Übergewichts individuell zu beleidigen oder auszugrenzen. Aber gleichzeitig sollte es ansprechbar sein, dass unsere Art zu leben systematisch Probleme sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene verursacht.
Keine Frage.
erstens ist das argument "zu teuer für die gesellschaft" richtiger bockmist mit dem der onus für die finanzierung von gesundheitsfürsorge wieder von der gesellschaft auf das individuum übertragen wird.
zweitens ist dieses "AbEr Es IsT dOcH gEsUnDhEiTsScHäDlIcH dAvOr DaRf MaN nIcHt dIe AuGeN vErScHlIeSsEn" so ein blödes totschlagargument, glaub mir das ist allen dicken klar. Ich kennen niemanden der das bestreitet, denn in wirklich jeder diskussion über fettleibigkeit muss man das erstmal das anerkennen bevor es um das genauere Thema geht sonst kommt irgendsoein schlaumeier daher und fühlt sich berufen alle daran zu erinnern. Sogar in dem Interview wird das schonmal angesprochen damit diesem spruch erstmal genüge getan wird. Es ist ermüdend, beschämend, schafft schuldgefühle gerade da wo man welche abbauen will, denn aus einer schuld heraus sich an so ein riesenunterfangen wie ernährungsumstellung anzugehen verurteilt das ganze schon im vorfeld zum scheitern.
Edit: und wenns kein schlaumeier ist dann sind es häufig die eigenen schuldgefühle oder weil man es so oft schon vorgebetet bekommen hat das man einfach reflexartig schonmal bezug darauf nimmt.
Ich denke das Problem ist hier die fehlende Nuancierung in Deutschland. Man kann Fettleibigkeit als ein Problem anerkennen, ohne dass man das als Versagen der betroffenen Personen sehen muss.
Sie sollte aber in keinem Fall normalisiert oder verharmlost werden. Und dafür, gesellschaftlich gegen Fettleibigkeit vorzugehen, sind die gesellschaftlichen Kosten natürlich relevant. Wir bekommen es bei Tabak ja auch hin, Rauchen unattraktiver zu machen, und mehr Menschen vom Rauchen weg, bzw. weniger zum Rauchen hin zu bekommen.
Deswegen sollte der Maßstab nicht "es ist okay, dass du fett bist." sein, sondern "wie können wir Bedingungen schaffen, in denen weniger Menschen fettleibig werden, und mehr Menschen aus der Fettleibigkeit rauskommen".
Das fängt dann bei gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung in der Schule an und geht dann mit echten Maßnahmen zur Stressreduktion, günstigem Zugang zu gesunden Lebensmitteln und Bewegung, usw. im Erwachsenenalter weiter.
Es werden in diesem Kontext immer und immer wieder zwei verschiedene Arten von Problemen zusammengeworfen. Es gibt den rein medizinischen Aspekt, Fettleibigkeit birgt gesundheitliche Risiken für jede Facette der Gesundheit. Rauchen ist hier in der Tat das Standardbeispiel. In einem rein medizinischen Kontext (und ich meine akademisch medizinisch, nicht das Gesundheitssystem, Standardarztbesuch o. ä.) kenn ich niemanden der sich dagegen wehren würde Fettleibigkeit als Risikofaktor (und damit als potentielles Problem) einzubringen.
Das Problem um das es bei Fettakzeptanz ist ein generelles Problem der Stigmatisierung von medizinischen Problemen welche mit dem Individualismus einhergeht. Der Geist muss über den Körper herrschen. Diese Stigmatisierung betrifft nicht nur dicke Menschen, sondern Menschen mit Lernbehinderungen, Menschen mit psychischen Krankheiten etc. Aber so wie es Stigmas speziell für schizophrene, autistische, depressive, gehbehinderte, hörbehinderte usw. Menschen gibt, so haben auch dicke Menschen Stigmas die nur auf sie zutreffen. Um diese Stigmas geht es hier.
Wenn Leute also sagen "es ist okay dick zu sein" meinen sie damit eben nicht "du kannst die medizin ignorieren". Es ist vielmehr im Tenor von "es ist okay Trisomie-21 zu haben", "Es ist okay depressiv zu sein", kurzum "Es ist okay so zu sein wie man ist". Es geht um die Normalisierung von gesundheitlichen Problemen weil diese nunmal normal sind.
Von gesellschaftlicher Seite her aber nunmal leider nicht, aber diese Diskussion wird, besonders im Internet aber auch iel, immer wieder von Leuten torpediert die, aus einem mir unerfindlichem Grund, unbedingt darauf beharren dass es "ja auch gesundheitliche Probleme gibt, die können wir doch nicht ignorieren!!". Ich reagiere bei diesem Thema halt noch allergischer als bei anderem ableismus oder wie man das auch nennen mag, weil mir ein sehr persönlicher Blick hinter die Kulissen des Fettbeschämens gewährt wurde. Es sind Abgründe von denen man so ohne weiteres nichts ahnen kann.
Als jemand der im nahen Umfeld Menschen mit Trisomie 21 hat, wehre ich mich entschieden dagegen, dass diese Behinderung mit dem Griff in das Bullshit-Regal anstatt dem Gemüse-Regal im Supermarkt gleichgestellt wird, und sei es nur ansatzweise.
Ja, es gibt solche, die tatsächlich schwer krank sind und deswegen fett sind. Aber die Meisten mögen halt scheiße fressen und rumhängen, und irgendwann sieht man das auf der Waage.
Es ist halt 1:1 das gleiche kannste nix machen
Ich finde, Du hast einen sehr interessanten und guten Punkt aufgeworfen. Vermutlich wäre die Debatte deutlich einfacher, wenn wir zwei unterschiedliche Begriffe für die beiden Kontexte hätten :)
Danke sehr. Ich denke die Debatte wäre schon sehr viel einfacher wenn Leute nicht voreilig schliessen würden sie wüssten schon was gemeint ist und dann mit aller vehemenz dagegen argumentieren.
Oder das man anerkennen könnte dass wenn leute unter etwas leiden wie ihrem gewicht, aber trotzdem (scheinbar) nichts dagegen unternehmen, dass dann wohl noch was anderes im Spiel ist ausser mangelnde selbstkontrolle.