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Kampf gegen die Inflation: Der Niedrigzins war eine Ausnahme mit gefährlichen Folgen
(www.tagesspiegel.de)
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Das Gegenteil ist der Fall: Dass Zinsen historisch immer tiefer fallen, ist seit der frühen Neuzeit bestens belegt. Fallende Zinsen sind quasi eine immanente Begleiterscheinung des Kapitalismus. Die Frage ist nur, ob sie sich langfristig der 0 asymptotisch annähern, auf 0 bleiben oder sogar weiter ins Negative fallen. Letzteres halte ich für weniger unwahrscheinlich, als es im ersten Moment aussehen mag: Da sich das Wachstum hochentwickelter Volkswirtschaften stetig verlangsamt, treten sie vielleicht irgendwann in eine Phase permanenter Rezession, der nur noch mit einer Veränderung des Wesens des Geldes an sich begegnet werden kann.
Der Artikel ist nicht ganz richtig, aber dieser Kommentar ist ebenfalls falsch. In einem freien Markt ist Zins Ausdruck von Zeitprärefenz der Menschen: Ein Haus JETZT SOFORT ist mehr wert als ein Haus in einem Jahr. Ein negativer Zins (und selbst ein Nullzins denke ich) kann nur von einer Zentralbank eingeführt werden, weil diese über Mittel verfügt die über den Markt hinaus gehen. Ein historisch fallender Zins kann also nicht bis ins Negative extrapoliert werden, um die Zinspolitik der EZB zu rechtfertigen.
Ich nehme an, du redest vom Szenario, dass du ein Haus kaufen willst, um darin zu wohnen. Da ändert sich in der Tat nicht viel. Zeitpräferenz von Konsumgütern ist aber nur ein Teil der Geschichte. Wichtiger ist die Zeitpräferenz von Investitionsgütern. Sagen wir, du könntest dir in zehn Jahren das Geld zusammensparen, um ein Haus zu bauen, das du dann gewinnbringend vermieten kannst. Wenn du aber das Haus jetzt schon bauen könntest, würdest du in den nächsten zehn Jahren genug Mieteinnahmen haben, um dann bereits ein zweites Haus bauen zu können.
Die Zeitpräferenz, Investitionen möglichst schnell tätigen zu können, um möglichst früh Geld damit zu verdienen, hängt aber damit zusammen, wie viel Geld es mit dieser Investition zu verdienen gibt. Es mag angesichts der momentanen Lage am Wohnungsmarkt absurd wirken, aber wenn in 20-30 Jahren die Boomer wegsterben und es keine massive Einwanderung gibt, wird sich der Bau neuer Wohnungen vielleicht schlicht nicht mehr lohnen, weil dann selbst in den Großstädten genug Wohnungen leerstehen, deren Eigentümer verzweifelt einen Mieter suchen. Und entsprechend wird auch niemand bereit sein, Zinsen auf einen Kredit für eine derartige Investition zu zahlen.
Geld, wie wir es heute kennen, existiert nur dank Zentralbanken. Ohne Zentralbanken hast du keine Negativzinsen; du hast nur eine Truhe voller Goldmünzen, die zwar nicht physisch weniger werden, aber immer weniger wert sind, weil die schrumpfende Wirtschaft immer weniger Güter produziert, die du dafür kaufen könntest.
OK, aber dann wird es eben keine Kredite dieser Art geben. Es gibt genug andere Optionen, in die man Geld investieren kann. Ich glaube nicht, dass dir eine Bank in so einer Situation einen Kredit mit negativen Zinsen anbieten würde. Nur eine Zentralbank könnte so was machen. Vielleicht hab ich dich falsch verstanden.
Absolut, aber mein Kommentar war eine Antwort auf das Argument, dass negativ Zinsen völlig in Ordnung sind, weil Zinsen ja historisch fallen. Mmn ist das falsch, negativ Zinsen sind sehr unnatürlich (was nicht schlecht heißen muss). Daher muss ein Befürworter tatsächliche positive Effekte von negativen Zinsen nachweisen.
(Übrigens Stimme ich auch nicht zu, dass ein System ohne staatliche Zentralbank zwingend einer Truhe voller Goldmünzen entspricht, aber das isteine anderes Thema)
In einer schrumpfenden Wirtschaft nicht mehr unbedingt.
Wahrscheinlich nicht, weil das Kreditgeschäft bei negativen Zinsen eben unrentabel wird. Ändert nichts daran, dass der theoretische Marktzins für die Kredite, die dannzumal gar nicht mehr vergeben werden werden, negativ ist.
Eine langfristig stabile oder gar schrumpfende Wirtschaft ist in der Geschichte des modernen Finanzwesens auch bisher noch nicht aufgetaucht; der "Naturzustand", unter dem sich das heutige Bankensystem entwickelt hat, war exponentielles Wachstum, das gelegentlich durch katastrophische Ereignisse (Krieg, Wirtschaftskrise) ein wenig zurückgesetzt wurde.
Ja gut, das war Polemik; du hast natürlich neben den Goldmünzen auch noch Sparbücher und private Banknoten von Banken, die längst untergegangen sind, weil - siehe oben - das Kreditgeschäft unrentabel geworden ist. Kannst damit die Wand tapezieren.
Selbst wenn es NICHTS gibt, in das man investieren kann/will, weil jeder Teil der Wirtschaft langfristig schrumpft, sehe ich nicht, wie ein negativer Zins der Zentralbank die Situation verbessert.
Ok, das verstehe ich, aber welchen Vorteil bringt es diese Kredite künstlich zu ermöglichen? Wenn es sich nicht lohnt ein Haus zu bauen, weil genügend Wohnraum vorhanden ist, warum sollte die Zentralbank es durch negative Zinsen rentabel machen? (Ich weiß, dass die Zentralbank solche Kredite nicht direkt vergibt)
Das stimmt. Ich denke das Problem ist, dass ich nicht sehe, welche Funtion Kredite in so einer Situation erfüllen. Ist es, dass ein Konzern sich retten kann, wenn er in einer Notsituation ist? Ich bin eigentlich der Meinung, dass solche Konzerne eingehen sollten, aber vielleicht macht die neue Situation hier einen Unterschied.
Übrigens glaube ich nicht, dass so eine Phase der Stagnation bevorsteht. Bist du der Meinung, dass es so ist? Wenn ja würden mich die Gründe interressieren. Und ich hoffe es ist nicht nur der Übliche "unbegranztes Wachstum ist unmöglich, also müssen wir jetzt sofort aufhören zu wachsen" Kram.
Ich denke, der Nutzen von Negativzinsen (zwischen Geschäftsbanken und Zentralbank) ist, den Geschäftsbanken Kredite mit niedrigem, aber positivem Zins zu ermöglichen, wo der Zins das Ausfallrisiko nicht abdeckt. Negativzinsen im Geschäftsverkehr wird es nicht geben.
Wirtschaftliche Produktion ist Anzahl der Arbeiter mal Produktivität. Erstere wird in ein paar Jahrzehnten weltweit stagnieren und dann sinken, falls nicht alle Prognosen für die Weltbevölkerung völlig falsch liegen; im Westen wahrscheinlich schon früher, wenn nicht die Einwanderung massiv hochgefahren wird. Letztere kann zwar durch technischen Fortschritt weiter erhöht werden, aber die massive Produktivitätssteigerung des 19. und 20. Jahrhunderts, als man Muskelkraft von Mensch und Tier in allen Lebensbereichen durch die Kraft von Elektrizität und Verbrennungsmotoren ersetzt hat, wird sich im 21. Jahrhundert wahrscheinlich nicht wiederholen lassen. Ich lasse mich aber gern positiv überraschen.
ist das eine gute Sache? Vielleicht sind Banken im Schnitt nicht risikobereit genug, dann wäre das ein positiver Effekt, aber ich bin mir nicht sicher, dass es so ist.
Am Ende hilft natürlich nur der Blick in die Glaskugel, aber das riecht für mich nach "Alles, was erfunden werden kann, ist erfunden worden!" - 1899. Und ich sehe einige potentielle Innovationen, von Robotik (wir haben noch nichtmal selbst fahrende Autos, geschweige denn Haushaltsroboter) zu Biotechnik (es existieren immernoch Erbkrankheiten). Das wäre nicht alles nur die 10^30-te Dating-App. Aber wir werdens ja sehen :) hoffentlich
Negative Zentralbankzinsen haben aber ja gar nicht zu negativen Zinsen für Konsumkredite geführt. Außerdem ist ein Haus nur dann jetzt mehr wert als in einem Jahr, wenn es Inflation gibt. Und nur weil es derzeit hohe Inflation (meiner Meinung nach kein geldpolitisches Phänomen) gibt, heißt das nicht, dass wir in Zukunft keine Volkswirtschaften mit Stagnation bei gleichzeitiger Deflation sehen werden - auch wenn das historisch betrachtet zugegeben bislang nur in Ausnahmefällen aufgetreten ist.
Ich denke dein Vorredner meint, dass Menschn es im immer präferieren würden ein Haus jetzt zu haben, als 1 Jahr auf ein Haus warten zu müssen. Es gibt also eine Zeitpräferenz, welche unabhängig von Zinsen und Inflation einfach da sein sollte.
Das stimmt aber eben nicht: Wenn ich ein Haus heute haben kann oder es nächstes Jahr für ein Drittel weniger, dann warte ich gerne, wenn mein Gehalt in der Zeit gleich bleibt. Zinsen sind kein universelles Maß für Zeitpräferenzen. Das stimmt nur dort, wo Geld nicht das Transaktionsmedium, sondern das gehandelte Produkt selbst ist und deswegen der Zins mit dem Preis gleich ist: z.B. im Kreditmarkt.
Ich sehe nicht, inwiefern das meiner these wiederspricht. Wenn ich ein Haus nächstes Jahr für ein Drittel weniger bekomme, dann warte ich. Wenn ich es für den gleichen preis bekomme, warte ich nicht (Ausnahmesituationen ausgenommen). Irgendwo dazwischen habe ich keine Präferenz. Das ist genau das, was es heißt, weniger wert zu sein.
Wenn der neutrale Zinssatz, der Zins der die Wirtschaft weder bremst noch ankurbelt, fällt, bedeutet das auch das die Zentralbank entsprechend den Zins anpassen muss der die Wirtschaft verlangsamt/ankurbelt.
Und genau das ist auch der Fall.
https://www.brookings.edu/articles/the-hutchins-center-explains-the-neutral-rate-of-interest/
https://www.frbsf.org/economic-research/publications/economic-letter/2017/february/three-questions-on-r-star-natural-rate-of-interest/?amp=1
https://www.brookings.edu/articles/the-close-relationship-between-the-natural-rate-of-interest-and-optimal-inflation-target/
Interessante Links, aber ich bin nicht überzeugt, dass man dem r* Wert ins Negative folgen sollte, anstatt das als Signal zu werten, dass keine Kredite vergeben werden sollten. Um ehrlich zu sein irritiert es mich auch etwas, dass keine Präzise Definition von r* zu finden ist. Bisher habe ich "kein Bremsen/Ankurbeln der Wirtschaft" und "full employment and stable inflation" gesehen. Für das erste sehe ich keine offensichtliche Definition für Bremsen oder Ankurbeln, beim zweiten ist nicht klar, dass so ein Wert überhaupt existiert. Vielleicht sind meine Maßstäbe vom Mathestudium verzerrt, aber das kommt mir schwammig vor.
Zinsen sind genau das Werkzeug mit dem man die Kreditvergabe steuert.
Das ist nicht schwammig, wieso?
Wenn dir was formaleres lieber ist ist das eher in den Papern zu finden, hier z.B.
https://www.newyorkfed.org/research/policy/rstar
https://www.frbsf.org/economic-research/publications/working-papers/2016/11/?amp=1