Vorpommern-Greifswald gilt bei Rechtsextremen als Leuchtturm und unter Szene-Kennern als eine von zwei Neonazi-Hochburgen in Deutschland. Darauf weisen Insider auch mit Blick auf die Kommunalwahlen hin.
Nachdem ein Rechtsextremer im vorpommerschen Klein Bünzow versucht hat, Bürgermeister zu werden, haben Insider dem Nordkurier jetzt ihre Kenntnisse über Neonazi-Strukturen im Landkreis Vorpommern-Greifswald, speziell in der Uecker-Randow-Region vorgelegt.
Beobachter der Szene gehen davon aus, dass es in Vorpommern-Greifswald 250 bis 300 gut vernetzte Neonazis gibt, die sich lose in acht Kameradschaftsbunden organisieren.
Fünf davon allein in der Uecker-Randow-Region: die Aryan Warriors in Ueckermünde, das Nationale Bündnis in Löcknitz, die Kameradschaft Borken, die Völkische Bruderschaft in Strasburg und der Pommersche Jugendbund in Pasewalk. Die anderen Kameradschaften seien im Raum Anklam, Usedom und Bargischow zu Hause.
Auch die Kleinstpartei III. Weg sei in der Uecker-Randow-Region wie in ganz Vorpommern sehr stark vertreten. Mit Flyern samt Telefonnummer würden sie dazu aufrufen, ihnen Flüchtlinge zu melden.
In Pasewalk hätten sie im vergangenen Jahr einen Kinderstand aufgebaut und Bekleidung und Spielzeug verschenkt. Bei der Demokratie-Demo Anfang Februar in Pasewalk hätten sie Flyer geworfen.
Sie legten großen Wert auf einen gesunden Körper. Alkohol und sonstige Drogen seien für sie tabu.
Das ist nicht gut. Normalerweise sind Alkohol und Tabak die größten Verbündeten des Antifaschisten.
Stattdessen würden sie ihre Körper bei gemeinsamen Trainings stählen und Wettkämpfe durchführen. Der III. Weg sei unter anderem im Raum Strasburg vertreten.
Eine weitere Gruppierung, die Identitäre Bewegung, habe ihren Hauptsitz in Rostock, weite ihre Aktivitäten aber auch nach Vorpommern aus.
Sie betreibe professionelle Medienagenturen und eine sogenannte Gegen-Uni, die sich als „nicht links-grün versifft“ bewerbe.
Gibts da noch Rassenkunde?
An den Unis in Greifswald und Rostock seien sie parallel auch präsent. Sie würden sich auch mit anderen Strömungen vernetzen.
International gut verwoben sei die in Deutschland verbotene kriminelle Gruppierung Hammerskins - eine neonazistische Kaderorganisation, die 1986 in den USA gegründet worden sei. Ihr Ableger im Nordosten seien die Hammerskins Pommern, die 1997 gegründet wurden und weiterhin aktiv seien.
Im vergangenen Jahr gab es gegen sie Razzien im Raum Anklamund Usedom. Durch die Kameradschaft-Szene hätten die Hammerskins Zugriff auf Gaststätten, Konzertscheunen und Begegnungsstätten gehabt.
Es sei eine vorpommersche Besonderheit gewesen, dass die überregionalen Bruderschaften und Nazi-Parteien auf eine lokale gut organisierte Kameradschaft gestoßen seien.
Deswegen habe die Kameradschaft-Szene in Vorpommern auch die damalige NPD mit aufgebaut und in der Region etabliert und nicht andersherum.
Flankiert würden diese Gruppen von einer unbekannten Anzahl an Unterstützern, Förderern und Mitläufern. Gerade durch diese gut zusammen arbeitende Szene gehöre Vorpommern neben Dortmund zu den beiden Neonazi-Hochburgen in Deutschland.
"Es ist eine Frage nach der Normalität. Sobald etwas selbstverständlich geworden ist, hinterfragen wir es nicht mehr. Das gilt auch für extreme Positionen. Ab wann Rechtsextreme 'normal' und in der 'Mitte der Gesellschaft' angekommen sind, zeigt diese Bestandsaufnahme", teilten die Informanten, deren Namen der Reaktion bekannt sind, dem Nordkurier mit.
"Dabei werde der Raum Anklam in der rechtsextremen Szene deutschlandweit als Leuchturmregion betitelt, insbesondere weil Veranstaltungen und Netzwerke mit jahrelanger Kontinuität aufgebaut worden seien.
Die rechtsextreme Szene in Vorpommern-Greifswald habe sich seit den 90er-Jahren sukzessive in der Gesellschaft etabliert und sei vielerorts personell und strukturell gut vernetzt.
Neueste Berichte der Polizei würden zeigen, dass mit 1369 Straftaten im Jahr 2023 der Rechtsextremismus weiterhin zu den dominierenden Schwerpunktproblemen der politisch-motivierten Kriminalität im Land zählt. Zum Vergleich seien es bei den „Linken Straftaten“ 168 Vorfälle gewesen.
Seine Strategie habe Vorpommerns Neonazi-Netzwerk im Laufe der Jahrzehnte verändert. Die „Baseballschlägerjahre der 90er“ seien lange vorbei.
In dieser Zeit hätten Neonazis verstärkt auf die Jugend- und Subkultur durch Konzerte und Vernetzung gesetzt.
In den 2000ern hätten sie den Versuch der kulturellen Verankerung unternommen, indem sie in Jugendclubs präsent waren, aber auch durch Kampagnen wie „Opa war in Ordnung“ im Zuge der Wehrmachtsausstellung in Peenemünde.
Seit den 2010er-Jahren sei die Strategie eindeutig: "Die wirtschaftliche Verankerung der Szene in der Breite der Gesellschaft. So gründeten Neonazis eigene Unternehmen, um zum einen die finanziellen Engpässe seit der Abwahl der NPD aus dem Landtag zu kompensieren und zum anderen, um verbotsfeste Strukturen aufzubauen.
Ihre Strategie ziele darauf ab, Parallelstrukturen zu staatlichen Institutionen zu etablieren, um möglichst gewappnet gegen Einfluss-Versuche von außen zu sein, sogenannte national befreite Zonen", heißt es aus Beobachterkreisen.
Als "Kümmerer" und "nette Nachbarn von nebenan" würden sie sich "ganz normal“ engagieren, zum Beispiel in Feuerwehren, Sportvereinen, Elternräten und der Kommunalpolitik.
"Denn es gibt aus der Bevölkerung kaum Widerspruch und wenig Engagement gegen den Rechtsextremismus. Auch da gibt es Angst sowie eine gewisse Akzeptanz, trotz Distanz zu den menschenfeindlichen Einstellungen. Doch wenn wir akzeptieren, dass sich Rechtsextreme in der Zivilgesellschaft engagieren, im Verein, in Schulen, in der Politik, dann müssen wir uns auch fragen: Welche Gesellschaft wünschen sich eigentlich die Rechtsextremen?", fragen die Demokraten, die die Neonazi-Aktivitäten in Vorpommern im Auge behalten.
Aktuell würden sie nach politischer Macht streben, indem sie nach Verbündeten Ausschau halten, zum Beispiel in der Verschwörungsszene oder bei den Bauernprotesten. "Sie vermarkten sich immer eleganter und gekonnter."
Für die Nachwuchsgewinnung ließen sie teure und professionelle Musikvideos produzieren, für die sie vor allem das Genre Rap für ihre Zwecke nutzten und die sie auf Internetkanälen sehr breit streuten.
Das Video, auf dem der Sohn des Pasewalker Bürgermeisters bei einer Party in Bergholz ausländerfeindliche Parolen singt, habe dadurch innerhalb kürzester Zeit eine enorme Reichweite erlangt und sei in diesen Kreisen zum Kult erhoben worden. "Das alles sind Anzeichen einer Normalisierung der rechtsextremen Alltagswelt." Dorffeste würden für Szene-Treffs genutzt, wie auch das Parkfest in Lassan zeigte.
Ihre Symbole und Kleidungs-Marken würden sie den aktuellen Gegebenheiten anpassen. Sei vor Jahren beispielsweise noch Thor Steinar en vogue gewesen, gewinne nun die Outdoor-Marke Northface an Beliebtheit, wohl wegen der deutschen Übersetzung Nordgesicht
Auch der regionale Bezug zu Pommern werde in der Szene-Kleidung immer beliebter und solle die Vorstellung einer starken Heimat schaffen.
Mit Marken mit regionalem Bezug werde Widerstand verkörpert und Werte wie Loyalität zur Heimat, Zugehörigkeit zur Region - wir sind geblieben, statt wegzugehen - und männlicher Kameradschaft verherrlicht.
Nun bleibe die Frage, wie die Gesellschaft "dieser Gefahr für die Demokratie entgegentreten kann". "Grundsätzlich bedarf es einer Transparenz gegenüber rechtsextremen Akteuren, damit Menschen in Vorpommern wissen, mit wem sie es zu tun haben." Öffentlich aufgefallen seien zuletzt unter anderem Ueckermünder, die am 8. Mai bei der alljährlichen Rechten-Demo in Demmin mit NSU-Pullovern aufmarschierten.
Ganz schwierige Kiste. Ist auch sehr bekannt das der gesamte Vorgang schon eine Weile, besonders im Osten, läuft.
Die Frage ist halt wie lang man bereits weg geschaut hat, wenn man betrachtet das rechtsextremistische Züge sich bereit bei der Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr (insbesondere das KSK) und wo sonst noch etablieren konnten.
Ich weiß nicht ob die Gesellschaft allein diese Irrfahrt in den Griff kriegen können. Aber wie sonst?
Man merkt immer mehr das die rechte Szene immer skrupelloser wird. Von Öffentlichmischung von Namen und Adressen bis tatsächliche Gewalttaten (auch an Politiker*Innen).
Dennoch bei all dem, bin ich erneut Fassungslos..