this post was submitted on 16 Nov 2023
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Danke für die ausführliche Argumentation. Bis dato ist mir unklar wieso man rational gegen diese Widerspruchslösung sein könnte, von daher ist das sehr interessant. Halte dein Hauptargument aber für falsch:
es würde die Zahl der Spender nicht nur minimal sondern fast maximal erhöhen. Die 13 Fälle, die du hier nennst, beziehen sich ja auf die Fälle, die bei der aktuellen Opt-In-Lösung in Betracht gezogen wurden. Wenn man die Zahlen aktueller frühzeitiger Todesfälle anschaut sind die Zahlen möglicher Spender deutlich höher. Man kann dann beispielsweise direkt die Transplantationsprozesse einleiten (sofern nicht im Opt-Out Register gefunden): entnehmen, konservieren, Empfänger kontaktieren, etc. Die weiteren Probleme die es sicher auch gibt, benötigen zur Lösung dennoch erst mal die Einführung des Opt-In-Systems.
Wenn die Widerspruchslösung so populär ist, dann kann man sie doch einfach einführen. Dann kann man sich danach um die verbleibenden Probleme kümmern, da dieses Problem dann wegfällt und die verbleibenden Probleme einfacher zu lösen sind (d.h. bei Opt-In Systemen kann der Prozentsatz der Fälle "Bis die Entnahmeteams in der richtigen Klinik und die Organe entnommen sind, sind sie längst nicht mehr zu gebrauchen" schnell substanziell reduziert werden).
Ich bin mir nicht sicher ob wir aneinander vorbei reden, aber der oben beschriebene Fall gilt ganz unabhängig von der gesetzlichen Regelung. Wer "ganz normal" stirbt, also ohne den Sonderfall Hirntod, kann normalerweise keine Organe spenden, auch wenn sofort geklärt ist dass der Spender das möchte. In dem Moment wo das Herz stehen bleibt, beginnt ab der ersten Sekunde der Verfall der Organe und sie sind innerhalb kürzester Zeit komplett unbrauchbar. So schnell ist kein Organspendeteam da.
In den USA wird gerade an einem Verfahren für eine Organspende ohne Hirntod gearbeitet. Da geht es um Patienten, die eindeutig keine Überlebenschancen haben und wo die Intensivtherapie abgebrochen werden soll, ohne dass sie aber die strengen Hirntod-Kriterien erfüllen. Die Entnahmeteams werden schon geholt während der Spender noch lebt, dann wird er in den OP gebracht, es wird alles für die Entnahme vorbereitet und dann wartet man bis der Spender stirbt. Direkt nach dem Kreislaufstillstand wird mit der Organentnahme begonnen, damit so wenig Zeit wie möglich ohne Durchblutung vergeht. Und trotzdem ist die Qualität der Organe deutlich schlechter als bei einer Hirntod-Spende - was für die Organempfänger bedeutet, dass sie sehr viel schlechtere Überlebenschancen haben. Deswegen wird auch in den USA fast nur diese Spende nach Hirntod durchgeführt.
Der Flaschenhals ist wirklich dass es einfach zu selten diesen Sonderfall Hirntod gibt. In den allermeisten Fällen wo eine Organspende medizinisch möglich ist, wird sie auch durchgeführt.
Die Gefahr eines Opt-In-Systems sehe ich darin, dass es nach hinten los geht. Viele Leute sind heute schon sehr skeptisch gegenüber der Organspende, was man ja auch an einigen anderen Kommentaren hier sieht. Dass es komplett freiwillig ist und man sich bewusst dafür entscheiden muss, trägt meiner Meinung nach sehr zur Vertrauensbildung bei. Es gibt keine große Anti-Organspende-Bewegung, weil das Thema nur Leute betrifft, die das auch wollen. Das könnte aber umschlagen, wenn es heißt dass die Organe nach dem Hirntod automatisch entnommen werden so lange man nicht widerspricht. Ich sehe jetzt schon die Corona-Schwurbler mit neuen Plakaten durch die Straßen ziehen und zum massenweisen Widerspruch gegen die Organspende aufrufen. Da werden so viele Fake News durch die sozialen Medien geistern, bis die Leute aus lauter Verunsicherung erst mal widersprechen, auch wenn sie nicht genau wissen was sie davon halten sollen. Bei dem minimalen Potenzial, das eine Opt-In-Lösung bietet, ist aus meiner Sicht das Risiko zu groß, dass es hinterher weniger Organspenden gibt als vorher.