Hi zusammen! Einige von euch kennen mich vielleicht schon von Reddits r/de. Ich dachte mir, ich trage meinen Teil dazu bei, Reddit content nach Lemmy zu bringen, und führe hier meine Postserie fort, in denen ich den restlichen DACH-Raum informiere, was im Moment bei uns in der Schweiz politisch läuft.
Ich habe mir dabei neu folgendes Format überlegt, ich werde zu jedem Abstimmungsthema einen eigenen Thread schreiben. Das erlaubt mir, etwas mehr Kontext einfliessen zu lassen.
Volle Transparenz: Ich bin politisch sehr links positioniert und auch Mitglied einer Partei. Ich werde in erster Linie meine Sichtweise schildern, auch wenn ich versuche, die Argumente beider Seiten nach bestem Wissen zu schildern. Ich werde ausserdem Links setzen zu den Themen, wo ihr euch unabhängig weiter informieren könnt.
Wie damals auch auf Reddit werde ich hier eine Einführung ins politische System der Schweiz schreiben, auf die ich in zukünftigen Posts verlinken kann.
Der nächste Post wird dann Infos zum ersten Abstimmungsthema enthalten.
Politisches System
Die Schweiz ist eine Föderation bestehend aus 26 Kantonen, wovon 6 Halbkantone sind. Die Regierung stellt der Bundesrat dar, die 7 Bundesräte. Diese werden vom Parlament gewählt und sollten ungefähr die Wahlanteile der jeweiligen Parteien widerspiegeln. Die Bundesräte nehmen ähnliche Rollen ein wie MinisterInnen in anderen Ländern. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, ähnlich wie in den USA. Der Nationalrat mit 200 Sitzen, in welchem jeder Kanton Räte stellt im Verhältnis zu seiner Bevölkerung, welche in den meisten Kantonen nach Proporzwahl gewählt werden. Daneben existiert der Ständerat, in welchem jeder "Voll"-Kanton 2 Sitze hat, Halbkantone nur einen. Diese Sitze werden nach Majorzverfahren gewählt. Um ein Gesetz zu beschliessen müssen beide Kammern diesem zustimmen. Es gibt keine Koalitionen in der Schweiz, zu jeder Sache bilden sich neue Allianzen. Kleinparteien mit nur einem oder zwei Sitzen schliessen sich aber meist einer grösseren Fraktion im Parlament an. Das Parlament wird alle 4 Jahre komplett neu gewählt.
Direkte Demokratie
Die Schweizer Bevölkerung kann als letzte Instanz per direkte Abstimmung Einfluss auf die Politik nehmen. Das erste Mittel ist die Volksinitiative. Hierzu müssen die InitiantInnen 100'000 Unterschriften sammeln. Dann sieht sich das Parlament das Initiativanliegen an und kann dieses entweder direkt akzeptieren, oder, wenn es will, einen Gegenvorschlag ausarbeiten. Lehnt das Parlament die Initiative ab (was fast immer der Fall ist), kommt die Initiative, und möglicherweise ein Gegenvorschlag, zur Abstimmung. Ist ein Initiativkommitee mit dem Gegenvorschlag zufrieden, können sie ihre Initiative zurückziehen (und, falls der Gegenvorschlag abgelehnt wird, beim nächsten Mal zur Abstimmung bringen). Daneben existiert das Referendum. Hierbei wird ein vom parlamentarischer Beschluss, z.B. ein Gesetz, zur Abstimmung gestellt. Bei Änderungen an der Verfassung greift das obligatorische Referendum, d.h. das Volk muss in jedem Fall darüber entscheiden. Bei anderen Beschlüssen kann ein fakultatives Referendum verlangt werden, indem 50'000 Unterschriften gesammelt werden. Das Volk kann dann den parlamentarischen Beschluss entweder annehmen oder ablehnen.
Stimmberechtigt sind nur Personen ab 18 mit Schweizer Bürgerrecht.
Bei Initiativen und obligatorischen Referenden ist zudem für eine Annahme das Ständemehr notwendig. Das bedeutet, dass zusätzlich zu einer Mehrheit im Total der Stimmen auch eine Mehrheit der Kantone FÜR die Vorlage stimmen muss. Zuletzt hat dieser Mechanismus zum Beispiel die Annahme der Konzernverantwortungsinitiative verhindert.
Parteienlandschaft
Ich werde die Parteien hier versuchen im Vergleich mit den deutschen Parteien zu beschreiben, um es den deutschen LeserInnen etwas leichter zu machen, sich zu orientieren. Die Prozentzahlen repräsentieren den Wähleranteil an den letzten Wahlen 2019. (Entschuldigt das fehlende Gendern bei den RätInnen) Ich sortiere die Parteien von grösster Partei zu kleinster (im Parlament vertretenen):
Schweizerische Volkspartei (SVP) - 25.59%, 2 Bundesräte, 6 Ständeräte, 53 Nationalräte - Irgendwo zwischen rechtem Flügel der CDU und der AfD zu verorten. Setzt dieses Jahr im Wahlkampf stark auf Anti-Woke-Rhetorik.
Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) - 16.8%, 2 Bundesräte, 8 Ständeräte, 39 Nationalräte - Innenpolitisch eher das Programm der Linken als der SPD, aussenpolitisch aber pro-EU und pro-Ukraine. Wahlkampf-Hauptthema sind dieses Jahr die steigenden Mieten und Krankenkassenprämien.
FDP.Die Liberalen (FDP) - 15.11%, 2 Bundesräte, 12 Ständeräte, 29 Nationalräte - Der parlamentarische Arm des Grosskapitals. Etwas konservativer als die deutsche FDP.
Die Mitte (Mitte) - 13.8%, 1 Bundesrat, 14 Ständeräte, 28 Nationalräte - Eine Fusion aus zwei bürgerlichen Mitte-Parteien, CVP und BDP. Vertritt moderate bürgerliche Politik, ca. Merkel-CDU.
Grüne Schweiz (Grüne) - 13.24%, 5 Ständeräte, 28 Nationalräte - Sehr viel linker als die deutschen Grünen. Starke Überschneidung mit der SP.
Grünliberale Partei Schweiz (GLP) - 7.8%, 16 Nationalräte - Erheblicher gesellschaftlich progressiver und umweltfreundlicher als die (Schweizer) FDP, aber wirtschaftlich immer noch sehr liberal.
Kleinparteien im Parlament (unter 5%): Evangelische Volkspartei (EVP) - 2.08%, 3 Sitze - Gesellschaftlich konservativ, ökonomisch eher links
Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) - 1.05%, 1 Sitz - Rechtsaussen, noch weiter als die SVP. Dafür weniger dem Grosskapital verpflichtet.
Partei der Arbeit (PdA) - 1.05%, 2 Sitze - Marxisten
Lega dei Ticinesi (Lega) - 0.75%, 1 Sitz - Tessiner Regionalpartei, Rechtsaussen
Ich weiss, dass viele nicht mit den Analogien einverstanden sein werden, und ich weiss, dass es stark vereinfacht ist. Ich hoffe trotzdem, dass dies als kleiner Kompass für unseren deutschen und österreichischen FreundInnen dienen kann.
Wie läuft es effektiv im Parlament? Es gibt zwei grobe Blöcke: Der Linke (SP, Grüne, PdA) und der Bürgerliche (Rest). Gerade die Mitteparteien wie GLP, die Mitte und EVP arbeiten oft mit den Linken zusammen in Themen, die auch sie unterstützen. Die Mitte z.B. zur Senkung der Krankenkassenprämien, die GLP bei Umweltthemen und die EVP um Steuersenkungen für Unternehmen zu verhindern. Die SVP steht bei vielen ihrer Anliegen alleine, z.B. wenn sie sich gegen jegliche noch so moderate Klimaschutzmassnahmen wehren. Die SVP, FDP und GLP bilden aber oft einen Block um Vorteile für das Grosskapital durchzuboxen. Da der linke Block immer in der Minderheit ist, sind Referenden oft das letzte Mittel, um die bürgerliche Wirtschaftspolitik (sprich: Steuersenkungen) zu bremsen. In den letzten Jahren waren die SP und die Grünen damit auch äusserst erfolgreich.
Vorlagen am 18. Juni
- Referendum zum Klimaschutzgesetz (Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative - Zurückgezogen nach Gegenvorschlag)
- Obligatorisches Referendum zur Umsetz der OECD-Mindeststeuer für internationale Grossunternehmen
- Referendum zur Änderung (Verlängerung) des Covid-19 Gesetzes
Bitte lasst mich wissen, ob Interesse an detaillierten Posts zu den Vorlagen da ist. Ich werde auf alle Fälle nächste Woche einen Post erstellen um euch die Ergebnisse mitzuteilen.
Lieben Gruss und einen guten feministischen Streik heute!
Haha, keine Sache. Ganz ehrlich das war von mir auch provokativ formuliert. Ich bin wohl noch immer ziemlich verärgert weil in meinem Ex-Kanton Aargau die GLP zusammen mit dem Rest eine Unternehmenssteuersenkung durchgedrückt hat, die einen ganzen Satz Gemeinden finanziell ins Minus geschickt hat.
Ich denke auch dass das Statement dass sie in der Hinsicht mit der SVP zusammenarbeiten auch korrekt ist. Aber ich bin bereit einzugestehen dass sie weit weg sind von der Fanatik mit welcher die FDP die Positionen der economiesuisse und des Arbeitgeberverbands vertritt.