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Hi zusammen, nach meinem Einführungspost zum politischen System in der Schweiz folgt nun der Post zur ersten der drei Vorlagen:

Referendum zum Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit (KlG)

Eine klimapolitischer Rückblick

Die Schweiz hat wie die meisten Staaten das Pariser Abkommen 2015 und das Kyoto-Protokoll 2003 ratifiziert und sich damit zur Aufgabe gemacht, ihre CO2-Emissionen zu senken und das Klima besser zu schützen. Nach der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls führte die Schweiz ein CO2-Gesetz ein, um die Emissionen zu senken. Dieses Gesetz sollte eine Totalrevision erhalten, auf deren Umsetz sich die Räte im Herbst 2020 einigten. Alle grossen Parteien unterstützten es, mit Ausnahme der SVP, welche das Referendum ergriff. Zusätzlich kündigte auch Fridays For Future Schweiz an, das Referendum unterstützen zu wollen, da das Gesetz nicht weit genug ginge. Zusätzlich gab es Kritik an der Sozialverträglichkeit des Gesetzes, da nun auch natürliche Personen direkt zusätzliche Abgaben leisten sollten, z.B. auf Flüge, weshalb die PdA ebenfalls das Referendum unterstützte. Die Abstimmung verlief zugunsten des NEIN-Kommitees und die Revision wurde abgelehnt.

Parallel zur Überarbeitung des CO2-Gesetztes lief die Beratung zur Gletscher-Initiative, welche 2019 eingereicht worden war. Bei dieser Initiative handelte es sich um den Versuch, einen verfassungsrechtlichen Rahmen zu schaffen, durch welchen das Parlament weitere Gesetze zum Klimaschutz schaffen kann. Konkret festgeschrieben wurde das Ziel bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Der Bundesrat legte dazu einen direkten Gegenentwurf vor, welchen der Nationalrat gegen die Minderheiten von Grünen (weil sie die Initiative vorzogen) und SVP annahm. Der Vorschlag der SP, beide anzunehmen und dem Volk vorzulegen und dieses entscheiden zu lassen, wies der Nationalrat zurück. Das Geschäft wurde vom Ständerat schliesslich abgelehnt, da zu dessen Behandlung 2022 schon der indirekte Gegenvorschlag vorlag, und die Volksinitiative (bedingt*) zurückgezogen wurde.

Dieser indirekte Gegenvorschlag war in der Kommission für Umwelt-, Raumplanung und Energie des Nationalrats geboren worden, auf Anstoss der Volksinitiative. Die Kommission fand, dass eine Initiative, sowie der Gegenentwurf, als Verfassungsänderungen zu langsam sind inbetracht der Dringlichkeit der Situation. Auch der Gegenvorschlag formuliert grob Massnahmen, welche ein Erreichen von Netto-Null bis 2050 unterstützen sollen. Dabei wurde versucht, aus den Fehlern des CO2-Gesetzes zu lernen, und auf die Sozialverträglichkeit zu achten. Das ist die Vorlage, über die nun abgestimmt wird.

Die Vorlage in Kürze

Generell:

  • Die Schweiz muss bis 2050 klimaneutral werden
  • Der Verbrauch fossiler Energieträger wird nicht verboten, soll aber so weit wie möglich reduziert werden. (Die Initiative fordert ein komplettes Verbot)
  • Wo weiterhin Emissionen entstehen, müssen sie ausgeglichen werden.
  • Bund und Kantone werden verpflichtet, sich auf die Auswirkungen des Klimawandels vorzubereiten und Massnahmen zu ergreifen, z.B. mehr Bäume und Grünflächen gegen die Hitze in Städten.
  • Bund und Kantone sollen mit dem Finanzplatz Vereinbarungen zur Verbesserung des Klimaschutzes treffen können.
  • Die Bundesverwaltung muss bis 2040 klimaneutral sein. Bei Post und SBB wird dies ebenfalls angestrebt.
  • Die Vorlage enthält keine konkreten Verbote oder Abgaben durch Bevölkerung oder Wirtschaft.

Konkrete Massnahmen:

  • 200 Mio. Franken / Jahr für die nächsten 10 Jahre um Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer beim Ersetzen ihrer Heizungen hin zu klimafreundlicheren Alternativen zu unterstützen. Zudem Ausbau der Fernwärmenetze.
  • 200 Mio. Franken / Jahr für die nächsten 6 Jahre als Unterstützung für Unternehmen, die innovative, klimafreundlichere Technologien implementieren wollen.
  • Der Vorschlag nennt Meilensteine, welche bis 2050 erreicht werden müssen zur Senkung der Emissionen (z.B. im Sektor Industrie 50% bis 2040).

Unterstützer und Gegner

Siehe meinen ersten Post zu den Parteien.

Unterstützer

Parteien: SP, Grüne, Mitte, PdA, GLP, FDP, EVP

Ausserparlamentarisch: Eine äusserst breite Allianz, darunter die Gewerkschaften, Umweltverbände und Bauernverbände.

Gegner:

Parteien: SVP, EDU, Lega

Ausserparlamentarisch: Hauseigentümerverband und GastroSuisse.

Argumente

Ich gebe hier gekürzt die Argumente im Abstimmungsbüchlein wieder.

Argumente der Ja-Seite (Bundesrat und Parlament)

  • Fossile Brennstoffe sind begrenzt. Langfristige Versorgungssicherheit ist damit nicht möglich.
  • Da die Schweiz kein eigenes Gas und Öl fördert, fördert eine Abkehr davon die Energieunabhängigkeit
  • Die Bevölkerung will klimafreundlicher leben, es scheitert aber oft an den Kosten, daher subventionieren wir den Umstieg auf klimafreundlicheres Leben.
  • Es gibt keine Verbote und keine neuen Abgaben mit dieser Vorlage.
  • Die Vorlage sieht auch vor, vor den Folgen des Klimawandels zu schützen.

Argumente der Nein-Seite

  • Eine Umstellung auf erneuerbare Energien ist mit einer massiven Erhöhung der Strom- und Energiepreise verbunden.
  • Das Gesetz führt (langfristig?) zu einem Verbot von allen fossilen Energieträgern ohne dass genügend Alternativen existieren.
  • Das Gesetz ebnet den Weg für zukünftigen Zwang durch den Bundesrat, z.B. Haussanierungen oder Verboten von Flugreisen.

Die Gegner beziehen sich bei ihren Behauptungen zu den Strompreisen übrigens auf eine ETH-Studie zu der ich bis jetzt nur diesen Artikel ausfindig machen konnte, leider hinter einer Paywall. Die Studie selbst haben die Gegner leider nicht im Abstimmungsbüchlein zitiert (vermutlich damit bloss keiner nachguckt, was tatsächlich drinsteht).

Abstimmungskampf

Die NEIN-Seite begann schon sehr früh mit dem Abstimmungskampf und überflutete geradezu die Plakatwände mit ihren Plakaten gegen das "Stromfressergesetz", wie sie es bezeichnete. Das Ziel der NEIN-Seite ist wie schon beim CO2-Gesetz die Existenz-Ängste zu schüren, dass unter den Massnahmen, welche der Gegenvorschlag formuliert, man bald nicht mehr Auto fahren dürfe und durch die Abschaltung der Kraftwerke auch kein Strom mehr da sei. Eine SVP-assozierte Organisation sandte zum Beispiel diesen lächerlichen Flyer in jeden Schweizer Haushalt (am besten im neuen Tab öffnen, damits lesbar ist, wenn ihr euch den Schund antun wollt): Doofer Flyer Der Abstimmungskampf zeugt davon, dass sehr viel Geld im Nein-Lager steckt und man diesen Kampf sehr dringend gewinnen will. Ich habe zum ersten Mal Werbung auf meinem Radiodisplay (DAB+) für eine Abstimmung erhalten...

Das Ja-Lager hingegen verhält sich bisher recht zahm und appelliert an das Umweltbewusstsein der Menschen.

Aussichten

Die Umfragewerte bei Tamedia zeigen recht stabile Umfragewerte. Von der ersten Umfragewelle am 3. Mai bis zur dritten Welle am 7. Juni fiel der JA-Anteil von 58% auf 56%, während der NEIN-Anteil von 38% auf 43% stieg. Im Vergleich mit der 2. Umfragewell gab es aber nur eine winzige Veränderung zugunsten des JA-Lagers, weshalb die Werte wohl stabil bleiben werden. Das CO2-Gesetz hatte in den Umfragen leicht schlechtere Werte (54% JA), und scheiterte trotzdem, es bleibt also abzuwarten.

Bei der SRG (öffentlich-rechtliche Medien) sieht der Vorsprung der JA-Seite etwas deutlicher aus. Hier sprachen sich Ende Mai 63% der Befragten für ein JA aus, während nur 36% zu einem NEIN tendierten.

Nützliche Links

Übersicht auf Swissvotes: https://swissvotes.ch/vote/663.00

Historie auf Année Politique Suisse: https://anneepolitique.swiss/prozesse/64275

SRF-Dossier zur Abstimmung: https://www.srf.ch/news/abstimmungen-18-juni-2023/klimaschutz-gesetz

JA-Komitee-Seite: https://klimaschutzgesetz-ja.ch/

NEIN-Komitee-Seite: https://stromfresser-gesetz-nein.ch/

Abstimmungsbüchlein im PDF

*bedingt: Die Volksinitiative wurde zurückgezogen unter der Bedingung, dass der indirekte Gegenvorschlag angenommen wird. Falls dieser abgelehnt wird, kommt die Volksinitiative zur Abstimmung.

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[–] [email protected] 3 points 1 year ago

Sehr ausführlicher Beitrag, tolle Arbeit 👍

Das einzige was mich wirklich überrascht hat ist, dass der Bauernverband mal gegen die SVP kämpft 😮