Triggerwarnung: lang(weilig), trocken & schmutzig
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Gerade hat die EU-Kommission die US-Amerikanerin Fiona Scott Morton zur Chefökonomin ihrer Generaldirektion Wettbewerb ernannt. Damit wird die Regulierung der digitalen Märkte einer mit Interessenskonflikten überladenen Lobbyistin der Big-Tech-Konzerne übertragen. Morton war nicht nur für das us-amerikanische Justizministerium, sondern auch für mehrere oligopolistische US-Digitalkonzerne tätig (Apple, Amazon, Microsoft), deren Beratung ihr mehrere Millionen Dollar eingebracht hat.
Wenn Sie sich im Februar letzten Jahres kurz darüber gewundert haben, dass die US-amerikanische Greenpeace-Aktivistin Jennifer Morgan von der transatlantischen Tröte Annalena Baerbock zur Staatssekretärin im Auswärtigen Amt gemacht wurde, dann war das noch gar nichts gegen die Idee, der die EU-Kommission gerade Gestalt verliehen hat. In einem klammheimlichen und nur in Bruchteilen ordnungsgemäßen Ausschreibungsverfahren hat die Kommission für einen ihrer wichtigsten Regulierungsposten soeben die US-Amerikanerin und Big-Tech-Lobbyistin Fiona Scott Morton rekrutiert. Zum 1. September 2023 soll sie Chefökonomin für Wettbewerbsfragen der DG Comp werden, eine der wichtigsten Positionen in einer der mächtigsten Generaldirektionen der Europäischen Kommission - mit Zuständigkeit für die Einhaltung der EU-Kartell- und Wettbewerbsvorschriften sowie die Genehmigung von Unternehmensfusionen und Übernahmen.
Fiona Scott Morton ist, wie wir der von plakativem Progressismus getragenen Pressemitteilung entnehmen, nicht nur eine Frau, sondern auch die erste Frau auf diesem Posten. Champagner stellen wir für diese Nachricht trotzdem nicht kalt, noch nicht einmal US-amerikanischen Schaumwein mit Aspartam, wenn wir denn so etwas überhaupt in unserem Weinschrank hätten. Denn der tatsächlich vermeldenswerte Nachrichtgehalt ist natürlich weniger in der Geschlechts- als in der Staatszugehörigkeit zu finden.
In der Tat wird Morton in Nachfolge des Belgiers Pierre Régibeau sicher nicht als erste Frau, sondern vor allem als erste an einer der sensibelsten Schaltstellen der EU offiziell eingesetzte Staatsbürgerin der USA in die Geschichte der Institutionen eingehen. Und das, obwohl für diese Position und Verantwortungsebene (üblicherweise) die Staatsangehörigkeit eines der EU-Mitgliedsstaaten erforderlich ist.
Es gehört zu den nicht weiter erwähnenswerten Selbstverständlichkeiten des EU-Apparats, dass seine Beamten einem der 27 Mitgliedsstaaten entstammen. Die einzige (größere) Ausnahme von dieser Regel ergab sich durch den Brexit, in dessen Folge die Kommission ihren derzeit 464 britischen Bediensteten (1,5%), von denen allerdings keiner an strategischer Position plaziert ist, die weitere Funktionsausübung gestattete. Von den derzeit 30.094 (internen) EU-Beamten sind ganze 59 Nicht-EU-Bürger, das sind 0,2 Prozent. Einige von diesen sind Norweger, einige besitzen eine zweite EU-Staatsbürgerschaft, die meisten fungieren als Berater (oft im IT-Bereich), keiner ist mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen ausgestattet.
Für das Auswahl- und Einstellungsverfahren der Europäischen Kommission gilt für Hohe Beamte die folgende Vorschrift („Senior Officials Policy“): "Bei der Einstellung sind dem Organ die Dienste von Beamten zu sichern, die auf möglichst breiter geographischer Grundlage unter den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ausgewählt werden.“ Dass es unter den 450 Millionen zur Auswahl stehenden EU-Bürgern, einige davon mit ausgefuchstem Fachwissen (Candy Crush, Level 1789), keinen Tinder-Match gegeben haben soll, das, mit Verlaub, glauben wir der Kommission einfach nicht. Bei ausnahmslos allen bisherigen Ausschreibungen zum „Chief Competition Economist“, auch bei der letzten von 2018 (COM/2018/10383), war die EU-Staatsbürgerschaft als allererste Zulassungsvoraussetzung vermerkt. Im diesjährigen (im Februar eröffneten) Verfahren (COM/2023/10427) ist sie - bei nahezu wortgleicher Übernahme aller anderen Textbausteine - wie durch Zauberhand verschwunden.
Es könnte der Verdacht entstehen, so mehrere NGOs um Lobby Control schon im Mai, dass dieses Einstellungsverfahren speziell darauf zugeschnitten wurde, eine ganz bestimmte Bewerberin aus dem Nicht-EU-Raum zu begünstigen. Wir möchten höflich widersprechen, denn der Sachverhalt geht über den reinen Verdacht natürlich längst hinaus. Nicht genug, dass Morton ihre Kollegen an der Yale University bereits im April über ihre Berufung in die EU-Verwaltung informierte - einer ihrer Kollegen gratulierte ihr mit einem (inzwischen gelöschten) Tweet sogar auf Twitter. Mit Bezug auf ungenannte „Quellen“ vermelden auch Bloomberg und die Financial Times die anstehende Stellenbesetzung schon Anfang April, nicht ohne zu präzisieren, Morton sei so gezielt ausgewählt worden, dass man da drüben - eigens für sie - gar die geltenden Ausschreibungsregeln „anpassen“ werde. Schön, dass wir alles, was in der EU so vor sich geht, aus der angloamerikanischen Finanzpresse erfahren müssen. Brüsseler Korrespondenten sollten es sich angewöhnen, den Blick in den entsprechenden Blätterwald - neben der traditionellen Vogel- und Leberschau - in ihre politische Vorhersagepraxis aufzunehmen.
Dass die Personalie einschließlich der Hintergründe ihres Zustandekommens nun öffentlich geworden sind, kann man nur auf großes Pech und unsäglichen Dilettantismus zurückführen, denn die Kommissionsleitung hat sich wirklich nach Kräften um Diskretion und Tatsachenverschleierung bemüht. Niemand scheint im Vorfeld von dieser ungewöhnlichen Personalentscheidung überhaupt in Kenntnis gesetzt worden zu sein - von Morton und der US-amerikanischen Fachpresse einmal abgesehen. Nicht die europäische Öffentlichkeit, noch nicht einmal die EU-Kommissare. Kommissionsintern wurde das Thema zu keinem Zeitpunkt auch nur besprochen, „obwohl es zweifellos eine politische Diskussion verdient hätte“ (Le Monde).
Mit einer Absicht, die man nur unter lebensbedrohlicher Gehirnverknotung für gutartig halten kann, wurden die Kommissare, deren Zustimmung für die Einstellung formal erforderlich war, schlicht und ergreifend hereingelegt. In den Unterlagen zum letzten Treffen des Kollegiums am 11. Juli war die Neubesetzung (wohlweislich) im Anhang eines am Vortag per Email übersandten Dokumentenstapels versteckt, am Ende langer Litaneien zu anderen Themen und einer Reihe anderer, völlig unspektakulärer Neubesetzungen.
Der Hauptteil der 26-seitigen Passage zum Posten des Chefökonomen war den zehn abgelehnten Kandidaten gewidmet, unter ihnen etwa der Spanier Juan José Ganuza Fernández. Und die Darstellung von Mortons Vita schließlich kaprizierte sich auf die zu erwartende Muttersprache („Englisch“), während die dazugehörige Nationalität (USA) einfach gänzlich unterschlagen wurde. „Es gab keinen Hinweis darauf, dass sie Amerikanerin war. Wir dachten alle, sie sei Irin“, berichtet ein Hoher Beamter der französischen Libération und versichert, niemand habe eine Ahnung gehabt, worüber da eigentlich abgestimmt wurde. „Wir haben erst auf Twitter herausgefunden, dass wir etwas Inakzeptables akzeptiert hatten“.
Das Ganze wirkt wie ein verunglückter Täuschungsversuch aus dem Vorabendprogramm des Kinderkanals. Auch auf der Kommissionswebseite, so berichten es französische Journalisten, konnte man die brisante Nachricht nur durch Zufall und auch dann nur mit guter Lesebrille, weil im Kleingedruckten finden. Im von der Kommission veröffentlichten Lebenslauf der EU-Novizin - auch das ein Novum - erstrecken sich die akademischen Veröffentlichungen über mehrere Seiten, während ihre Beratungsaufträge gar nicht näher erläutert werden. Erst in den letzten Zeilen des Abschnitts über Morton erfährt man überhaupt, dass sie Unternehmen (entweder direkt oder über Beratungsfirmen) beraten hat - und zwar für beträchtliche Summen: 1 bis 2 Millionen US-Dollar pro Fall. Die Kommission nennt Apple und Microsoft, während sie Amazon, Pfizer und Sanofi wiederum glatt unterschlägt.
Neben der höchstgradig ungewöhnlichen und wegen des Pro-forma-Charakters ihrer Ausschreibung sogar nachweislich (und grob) fehlerhaften Vergabe steht natürlich noch der Eindruck, den die Kommission durch die Besetzung dieser gewichtigen Verwaltungsstelle erzeugt. In einer Zeit, in der die EU nicht nur eine mit dem ihr ursprünglich zugedachten Auftrag keineswegs mehr konkordante Anbindung an ein unter Führung der USA stehendes Militärbündnis betreibt, sondern von europäischen Staatschefs (Macron) und Denkfabriken (European Council on Foreign Relations) gleichermaßen unverhohlen des (immanenten) US-„Vasallentums“ bezichtigt wird, müssen in der Kommission vonderLeyen wirklich begnadete Genies strategischer Kommunikation am Werke sein, wenn sie - erneut - ein derart vielsagendes Beweisstück für ihren mangelnden Ehrgeiz zur Erlangung strategischer Autonomie vorlegen.
Der Eindruck, den sie erzeugt, kümmert die Kommission offenbar gar nicht mehr. Ebenso wie die internen Rechtsvorschriften für Verwaltungsprozesse. Und wie die Kommission sich schließlich die für die Einsicht in sensible ökonomische Daten und wirtschaftspolitische Strategiepapiere obligate Sicherheitsfreigabe aller 27 Mitgliedsstaaten an eine US-Amerikanerin vorstellt, bleibt erst recht ihr Geheimnis. Wird dergleichen von Staaten (oder staatsähnlichen Gebilden) denn immer nur so zum Spaß an die Voraussetzung geknüpft, dass der künftige Geheimnisträger ein Staatsbürger der vertretenen Entität sein muss? Auch nach intensiv selbstquälender Meditation ist uns kein einziger Europäer eingefallen, der es jemals in schwergewichtige Verwaltungsteile Vereinigter oder anderer Staaten geschafft hätte. Na gut, außer Arnold Schwarzenegger vielleicht.
Wahrscheinlich weiss die Kommission schlicht, was wir seit den Enthüllungen von Edward Snowden sowieso alle wissen, nämlich dass die US-amerikanischen Geheimdienste sich ohnehin routinemäßig die (völkerrechtswidrige) Freiheit nehmen, alle politischen, bürokratischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger in der EU rund um die Uhr abzuhören, planmäßig auszuforschen und nach Strich und Faden zu bespitzeln. Da macht eine US-Amerikanerin in der Generaldirektion der EU-Kommission natürlich keinen Unterschied mehr. Is eh wurscht.
In einer Zeit, in der die EU sich (in Nachahmung von US-Praktiken) um die Stillegung sogenannter Desinformation bemüht (ein übrigens höchst fahrlässig aus den Wahrnehmungswelten der Geheimdienste in die Denkstrukturen des Politischen eingelassener Begriff) sowie um die Bekämpfung drittstaatlicher Einfußnahmen, ist ein Akteur allmählich beim allerallerbesten Willen nicht mehr zu übersehen, den die EU dennoch absichtlich, systematisch und unter Vortäuschung einer nachgerade ohrfeigenwürdigen Naivität wieder, wieder, wieder und wieder übersieht. Der Elefant im Raum ist natürlich der Welt elefantöseste Trampeltruppe. Sie nennt sich die Vereinigten Staaten von Amerika.
Anfang Mai hat der ehemalige französische Premierminister François Fillon, ein konservativer Gaullist der republikanischen Partei LR, vor dem Untersuchungsausschuss der französischen Nationalversammlung wie folgt ausgesagt: „Ausländische Einflussnahme, ja, ich bin ihr begegnet. In den allermeisten Fällen ging sie von einem befreundeten und verbündeten Staat aus. Dieser Staat heißt Vereinigte Staaten von Amerika.“
Dabei bezog Fillon sich nicht nur auf die Tatsache, dass die gesamte französische Regierung über Jahre vom NSA abgehört worden war - eine Praxis, die sich bekanntlich nicht auf Frankreich und nicht auf die dortige Politik beschränkte. Nicht weniger als 75 Millionen Nachrichten und Emails wurden von der NSA (zu Zeiten Edward Snowdens) in jedem Monat allein aus Frankreich abgefangen - viele auch aus dem Bereich der Industrie. Nirgendwo ist die NSA aktiver als Deutschland, wo sie es vor elf Jahren auf monatlich (mindestens) 500 Millionen Daten brachte - unter tätiger Mithilfe des BND. Es gibt wenig Grund für die Annahme, dass sich bis heute viel an dieser unausgesprochenen Grundbestimmung politischen und wirtschaftlichen Handelns in der EU geändert haben könnte, (von der europäische Politiker (mit schlecht gespielter Empörung) bestenfalls zu bemerken pflegen, so etwas gehe „unter Freunden“ natürlich „gar nicht“, während sie es zugleich doch widerspruchslos tolerieren).
Fillon ging vor allem auf den höchst fragwürdigen Grundsatz der Extraterritorialität des US-Rechts ein, der es - in Zusammenwirken mit der Vormachtstellung des US-Dollars - der US-Justiz irrsinnigerweise ermöglicht, in die Angelegenheiten europäischer Unternehmen einzugreifen. Das gewaltigste Vernichtungsinstrument der USA - neben all den durch Einsatz schierer Militargewalt global erzeugten Unwuchten - ist natürlich ihre Sanktionsgesetzgebung - einschließlich ihrer aggressiv durchgesetzten Extraterritorialität.
Der ehemalige französische Wirtschaftsminister, der Sozialist Arnaud Montebourg, gab vor demselben Untersuchungsausschuss die erschreckende Anzahl strategisch bedeutender französischer (und europäischer) Unternehmen zu Protokoll, deren Substanz über den Umweg von Finanzsanktionen vorsätzlich Schaden zugefügt wurde, um sie als konkurrierende Marktakteure zu schwächen oder auszuschalten, wenn nicht gar unter US-amerikanische Kontrolle zu zwingen: Alstom, Airbus, BNP Paribas, Total, Technip, Alcatel, Société Générale, Dassault - aber auch Siemens, Ericsson, BAE, Mercator, Daimler, Statoil u.v.m.
Ausgespäht von ihrem nachrichtendienstlichen und mit Sanktionen übersät vom legalistischen Arm der USA, dem Department of Justice. Es lässt sich en détail nachzeichnen, wie die USA ihre nationalen Antikorruptionsgesetze - flankiert von ideologischen Söldnern in Unternehmensberatungen und Abteilungen für „Mergers & Acquisitions“ - zu einem strategischen Atomgeschoss umfunktionieren in einem Wirtschaftskrieg, der sich längst nicht nur gegen „feindliche“ Staaten richtet.
„Frankreich weiß es nicht, aber wir befinden uns im Krieg mit Amerika. Ein permanenter Krieg, ein lebenswichtiger Krieg, ein Wirtschaftskrieg, ein Krieg ohne Tote (…) und doch ein Krieg auf Leben und Tod“, soll François Mitterrand seinem späteren Biographen nach 14 Jahren im Amt zum Ende seiner letzten Präsidentschaft anvertraut haben.
Das Department of Justice, für das Fiona Scott Morton knapp zwei Jahre gearbeitet hat, steht am Ausgangspunkt eben dieser illegalen Praxis: Extraterritoriale Sanktionen, die unter eindeutiger Verletzung des geltenden Regelwerks der WTO („rules-based order“ LOL!) den (nicht weniger illegalen) Versuch einer internationalen Geltendmachung US-nationalen Rechts zum Inhalt haben. In den letzten 10 Jahren sollen die USA auf diesem Wege geschätzte 50 bis 60 Milliarden von europäischen Unternehmen erbeutet haben.
(Und es ist kein Zufall, dass das hier auf dem ökonomischen Feld angewandte Prinzip letztlich mit jenem identisch ist, das auch der Verfolgung des Wikileaks-Gründers und Publizisten Julian Assange zugrunde liegt: Die extraterritoriale Geltendmachung US-amerikanischen Rechts.)
Es ist in seiner verheerenden Bedeutung für Rechtsstaatlichkeits- und Selbstverständnis der EU kaum zu unterschätzen, dass die Kommission vonderLeyen mit der Einführung von Sekundärsanktionen im 11. Sanktionspaket nun eine US-Schulhofschlägerpraxis übernimmt, die sie ausweislich unzähliger eigener Rechtsgutachten selbst als eindeutig illegal einstuft. Schicht um Schicht legt die Kommission damit ihre eigene Quintessenz frei: die erschütternde Inhaltsleere des ethischen Fundaments, auf das sie sich in den immer brüchigeren Argumentationslinien ihrer aufgeblasenen PR-Phrasen noch immer seelenruhig zu berufen wagt.
Wir halten es außerdem für ökonomisches Grundschulwissen, dass die US-amerikanische Wirtschaft ihre Profitmargen zunehmend zulasten ihrer (militärisch und politisch) Allierten generiert. Während die USA 1990 noch 40% des BIP der G7-Staaten ausmachten, ist dieser Anteil im Jahr 2022 auf 58% (des BIP der G7-Staaten) gestiegen. (Das Pro-Kopf-BIP lag in den USA 1990 noch 14% höher als in der EU, mittlerweile ist dieser Wert auf 30% gestiegen.) Während die Wirtschaft der EU im Jahr 2008 (inkl. GB) noch größer war als die der USA (16,2 Billionen Dollar gegenüber 14,7 Billionen Dollar), hat sich dieses Verhältnis längst uneinholbar umgekehrt. (2022 haben die USA beide (EU + GB) um ein Drittel überflügelt (25 Billionen gegenüber 19,8 Billionen) -) die US-Wirtschaft ist mittlerweile mehr als doppelt so groß wie die der EU (ohne GB).
Die Treiber dieser Entwicklung sind zahllos und werden durch die EU nicht eingehegt, sondern zusätzlich befördert: Von EU-weit vervielfachten Militärausgaben, die überproportional dem militärisch-industriellen Komplex der USA zugute kommen, über EU-weit angestiegene Ausgaben für den chemisch-pharmazeutischen Komplex, für den dasselbe gilt, bis hin zur finanziellen Beteiligung am Wiederaufbau der zerstörten Ukraine, orchestriert von den US-Riesen Blackrock und JP Morgan, die den Weg für einen vollständigen Verkauf der wichtigsten Sektoren der ukrainischen Wirtschaft ebnen werden: Lt. Oakland-Institut sind von 40 Millionen Hektar ukrainischen Bodens bereits knapp 30 Prozent in den Besitz von multinationalen Agrarriesen übergegangen.
Während die EU den wettbewerbsverzerrenden US-Protektionismen, zuletzt in Gestalt des IRA, nichts wahrhaft Wirksames entgegenzusetzen weiß, erzeugt sie durch eine amateurhaft implementierte Verschuldungspolitik EU-weit ansteigende Zinsbelastungen (derzeit um 3%), verursacht durch Aufbaufonds, Subventionsprogramme und v.a. die zeitverzögerte Aufnahme der hierfür vorgesehenen Gelder. Hinzu kommt die großformatige Umstellung von preisgünstigem russischem Gas auf das zuverlässig umweltvernichtende („Green Deal“!), um ein Vielfaches teurere US-Frackinggas, das übrigens schon Donald Trump den Europäern unter dem seinerzeitigen Billig-Slogan „Freedom Gas“ anzudrehen versuchte, damals noch vergeblich. Die suizidale Schwächung des Standorts, die diese EU-weit konzertierten Maßnahmen nach sich zogen, sollte den Eliteschulabsolventen in der EU-Kommission ebensowenig entgangen sein wie jene gefürchtete Deindustrialisierung, die in der massiven Abwanderung von Unternehmen, Industrieproduktion und Investitionen (v.a. in die USA) sichtbar wird.
Zu guter Letzt geht es nun also um diesen riesigen, stetig wachsenden Digitalmarkt, der in jeder Sparte zufälligerweise von US-amerikanischen Akteuren dominiert wird, denen die EU clevererweise auch noch legale Steueroasen zur Verfügung stellt. Trotz all ihrer angeberischen Zehnjahrespläne, deren einziger Zweck offenbar darin bestand, höherwertiges Hochglanzpapier unbrauchbar zu machen, ist es der Kommission - im Unterschied zu China - noch nicht einmal im Ansatz gelungen, den US-Digitalgiganten EU-eigene Korrelate gegenüberzustellen. Dass sie die Regulierung dieses Zukunftsmarktes nun ausgerechnet einer US-Amerikanerin mit vergangenen und bestehenden Beziehungen in die US-Administration überträgt, ist schon für sich genommen ein Skandal. Spätestens an dieser Stelle, schreibt die größte französische Arbeitgebervereinigung Medef, hätte die EU-Kommission doch wohl zu „äußerster Vorsicht“ veranlasst sein müssen.
Es wäre doch allmählich an der Zeit, dass die EU sich - unter Ausblendung ihrer mitunter erschütternd weltfremden Ideologien - jenen (untergründigen) Beeinflussungsstrukturen widmete, denen sie tatsächlich gegenübersteht, um ihren „Kampf“ gegen fremde „Einflussnahme“ endlich auf reale Bedrohungen zu richten - für Wirtschaft, Gesellschaft und Frieden in der EU -, statt der obsessiven Verfolgung von imaginären nachzugehen.
Aber zurück zur Personalpolitik. Lässt man die heikle Frage der Nationalität nämlich einmal beiseite, entpuppt sich die Ernennung von Fiona Scott Morton wegen ihrer Verbindungen zum US-Justizministerium als nicht minder problematisch. Und nimmt man (wohlwollend) gar beides aus dem Blick - Nationalität und Department of Justice -, entfaltet sich ein Netz aus schweren Interessenskonflikten und schieren Abstrusitäten, das es schon für sich genommen in sich hat.
Es kommt wohl nicht von ungefähr, wenn die Kommission bei ihrer ostentativ zur Schau gestellten Begeisterung über den exquisiten Neuzugang („Expertin“) zu präzisieren vergisst, worin die hinzugewonnene Expertise in ihrem (eigentlichen) Kern besteht. In der Tat war Morton während der Präsidentschaft von Barack Obama nicht nur als Kartellwirtschaftsexpertin im US-Justizministerium angestellt - seit 2006 zählt sie (neben ihrer aktuellen Lehrtätigkeit an der Yale University) zudem zum festen Mitarbeiterstamm der Bostoner Beratungsklitsche Charles River Associates CRA, die v.a. für ihre mit tendenziösen „wissenschaftlichen“ Studien untermauerte Lobbyarbeit für die fossile Brennstoffindustrie bekannt geworden ist. CRA gratuliert ihrem verdienten „Senior Consultant“ herzlich zur Beförderung in die EU-Administration.
Gegen ein Honorar von 1 bis 2 Millionen Dollar pro Fall hat Morton, soweit man es bisher weiß, nicht nur Amazon, Pfizer und Sanofi in Wettbewerbsfragen als führende Beratungsstrategin zur Seite gestanden, sondern - pikanterweise - auch Apple und Microsoft. Sie war es, die als plangebende Wirtschaftsberaterin eben erst Microsofts Übernahme von Activision Blizzard argumentionsstrategisch in die Wege leitete - und das so erfolgreich, dass die umstrittene Übernahme sogar der jüngsten Klage des US-Justizministeriums standgehalten hat. Wir wollen lieber nicht wissen, was es in diesem Zusammenhang zu bedeuten hat, dass die Europäische Kommission, die noch im November letzten Jahres exakt diesen Übernahmefall der härtesten Prüfung zu unterziehen versprochen hatte, ihn nur einen Monat später urplötzlich für unbedenklich hielt und der Sache - zur Überraschung aller Beobachter - ihre vollumfängliche Segnung erteilte.
Dieselbe Expertin, die gerade erst den Ausbau der Monopolbildung des Giganten Microsoft erstritten hat, soll als oberste Wettbewerbsökonomin der EU-Kommission nun also den Digital Markets Act umsetzen - und denselben Großunternehmen regulierend gegenübertreten, denen sie noch bis vor fünf Minuten zur Steigerung ihrer Marktmacht verholfen hat. Wir möchten die Kommission hiermit zum Rennen um alle EU-weit verfügbaren Kabarettpreise anmelden, beginnend mit dem Reinheimer Satirelöwen, Rostocker Koggenzieher und dem Hamburger Comedy Pokal.
Wie es mit dem Code of Conduct der EU-Verwaltung in Übereinstimmung zu bringen sein soll, dass eine ehemalige Akteurin der US-Regierung für die EU einen von US-Unternehmen dominierten Markt regulieren soll, von denen sie mit den meisten durch vergangene Beratungstätigkeiten zudem aufs Engste verbunden ist, ist uns wirklich schleierhaft. Die stellvertretende Sprecherin der Kommission, Dana Spinant, ließ mittlerweile wissen, man habe bereits Vorkehrungen getroffen, um potentielle Interessenskonflikte auszuschliessen. Ganze zwei Jahre solle Morton es nicht mit Unternehmen zu tun bekommen, mit denen sie irgendwie verbunden sei. Und zwar vor dem Hintergrund eines - Achtung: festhalten - Vertrages über drei Jahre. Erfolgreiche Verwaltungen machen das so, müssen Sie wissen. Sie stellen Experten ein, von denen Sie wissen, dass sie über zwei Drittel des vorgesehenen Beschäftigungszeitraums gar nicht tätig werden können. Denn Mortons Haupteinsatzgebiet soll erklärtermaßen der Digital Markets Act sein, gegen dessen Zielunternehmen ein Einsatz dieser Chefökonomin ihrer Beratungstätigkeit wegen ausgeschlossen ist. Mit dem Ergebnis, dass die gesamte Generaldirektion DG Comp - etwa in den Fällen der bereits laufenden kartellrechtlichen Untersuchungen gegen Apple und Google, der anstehenden gegen Alphabet, Meta und Microsoft oder der Akquisitionen von iRobot durch Amazon und Figma durch Adobe - im Zweifel ausgerechnet ohne jene Expertise dastehen wird, für deren Nutzbarmachung sie die Wahl zuvor doch zielgerichtet auf Morton gelenkt hatte.
Dem sinnleeren Binnenkosmos der EU ist, wie Sie sehen, einfach kein Sinn abzugewinnen; er stürzt jeden, der nach Sinn strebt, unweigerlich in die Tiefen der existentiellen Krise. Wir schlagen die Kommission hiermit für den Albert-Camus-Preis in der Sparte „Philosophie und Praxis des Absurden“ vor.