"(...) Was muss sich ändern?
Es müsste sich so viel ändern, dass es kaum noch möglich ist, das zu schaffen. An die Spitze der Bahn müssen echte Bahn-Profis – wie in Österreich, der Schweiz. Aber in Deutschland sind die Bahnchefs seit gut drei Jahrzehnten Bahn-Fremde: Heinz Dürr – Autoindustrie; Hartmut Mehdorn – Autoindustrie, Rüdiger Grube – Autoindustrie. Am Anfang ihrer Bahnkarriere waren diese Herren Bahn-Azubis. Überbezahlte Azubis. Wenn Sie im Fußball einen Mittelstürmer suchen, dann kaufen Sie den doch nicht bei einem Basketball-Verein! Aber so wurde bei der Deutschen Bahn agiert und das Ergebnis sehen wir jetzt: eine strukturell unzuverlässige Bahn. Richard Lutz, der aktuelle Chef, war zwar schon immer bei der Bahn – aber als Controller. Als Finanzchef hat er all die unseligen Abbauprogramme seiner Chefs abgesegnet: diesen Rückbau des Schienennetzes, das Rausreißen von Weichen, die Stilllegung von Rangierbahnhöfen, den Verkauf von Bahnhöfen. Wer die Bahn so ruiniert hat, kann nicht ihr Retter sein.
Und was müssten die Bahn-Profis machen?
Sie stehen vor einer Herkulesaufgabe, die fast nicht zu bewältigen ist. Man muss natürlich das Schienennetz ausbauen, wieder Tausende von Weichen einbauen. Wie fatal die Lage ist, zeigt diese Zahl: Um auf den Zustand der Schweiz zu kommen müsste die Deutsche Bahn ihr Streckennetz augenblicklich um 25 000 Kilometer erweitern. Ein Ding der Unmöglichkeit. Dazu fehlt schon das nötige Land, denn die Bahn hat viel Grundbesitz verhökert. Wo früher Gleise waren, Züge fuhren, stehen heute oft Wohnhäuser, Logistik- oder Einkaufszentren.
Zurück zum Tarifkonflikt: Welche Verantwortung trägt das Bahn-Management an der Eskalation des Konflikts? Personalvorstand Martin Seiler sagt, die Bahn habe „weitreichende Zugeständnisse“ gemacht.
Die Deutsche Bahn ist in einer Sache gut: Eigenwerbung. Sie beherrscht die Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit. Die Bahn könnte ohne Probleme dem Papst ein Doppelbett andrehen. In diesen krisenhaften Zeiten einen Tarifvertrag über eine Laufzeit von 32 Monaten anzubieten, ist eine Frechheit. Das kann kein Gewerkschaftschef akzeptieren. Die Lokomotivführer gucken in die Schweiz, nach Österreich und Luxemburg – und sehen, dass dort ihre Kollegen viel besser bezahlt werden, bessere Arbeitszeiten und viel weniger Überstunden haben. Viele Lokführer sagen: Wir sind das Gespött des Landes, können aber nichts für diese Zustände. Doch die Verantwortlichen für diese Malaise kriegen Gehälter, die die Vorstellungskraft übersteigen. Ein Lokführer sagte letztens zu mir: Wenn du aus dem Führerstand schaust und an den verfallenen Bahnhöfen vorbeifährst, die rausgerissenen Schienen siehst, dann denkst du, dass du in einem Unternehmen arbeitest, das abgewickelt wird. (...)"